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Goodeiden

Splitfins in the Haus des Meeres - The international "Goodeid Working Group"

Mexikanische Hochlandkärpflinge bewohnen in etwa vierzig Arten zumeist ein höher gelegenes Gebiet im zentralen Herzen Mexikos, die Mesa Central, wo zum Teil Kleinstgewässer wie Quellgebiete, Bewässerungsgräben und Tümpel zu ihren Lebensräumen zählen. Dieses Gebiet, grob gesprochen handelt es sich um das Areal zwischen den beiden Metropolen Mexico Stadt und Guadalajara, wird vorm Rio Lerma dominiert, man findet einige Arten aber auch in angrenzenden Flussgebieten. Obwohl in Mexiko gelegen, sind die Lebensräume der meisten Arten alles andere als tropisch. Nächtliche Frostbildung bei Tagestemperaturen von über 20°C sind in einigen Gebieten im Winter keine Seltenheit, andere Lebensräume trocknen über die Frühlingsmonate beinahe aus, während sie in den Sommer- und Herbstmonaten reißende Fließgewässer darstellen. Die Tiere sind großen tageszeitlichen Temperaturschwankungen gegenüber sehr tolerant und leben oft in einem Wechsel aus Trocken- und Regenzeiten.

Aus Sicht der Biologen sind diese Fische überaus interessant: Sie sind lebendgebärend, wobei spezielle Strukturen am Bauch der ungeborenen Jungfische (sie werden Nährschnüre oder Trophotaenien genannt, ein Äquivalent zur menschlichen Nabelschnur) und eine Anpassung der Leibeshöhle der Weibchen, die dadurch eine ähnliche Funktion gewinnt wie bei uns Menschen die Plazenta, sie zu den wohl menschlichsten aller Fische machen – wenn man rein die Art der Fortpflanzung betrachtet. Wie bei uns Menschen werden die Weibchen schwanger, tragen ihren Nachwuchs monatelang in sich, wobei sich schlechte oder mangelnde Ernährung wie bei uns direkt auf sie auswirken, und bringen dann ihre Kinderschar unter Wehen zur Welt.

Rund achtzig Prozent der Arten sind durch Umweltsünden wie Bauprojekte, Wasserverschmutzung, ausgesetzte gebietsfremde Fischarten, das rasche Anwachsen von Großstädten und durch den rücksichtslosen Umgang der Bevölkerung mit der Ressource Wasser in ihrer Existenz massiv bedroht. Eine Art leben nur mehr in Aquarien, zwei weitere wurden erst in den Jahren 2017 und 2022 wieder angesiedelt, nachdem sie Jahrzehnte lang aus ihren natürlichen Lebensräumen verschwunden waren. Rund die Hälfte der Arten ist mittlerweile so stark bedroht, dass nur ein massives unter Schutz stellen ihr Überleben sichern kann. Das Haus des Meeres arbeitet intensiv am Erhalt dieser bedrohten Fischgruppe mit. Auf unser Betreiben hin wurde gemeinsam mit zwei anderen Zoos und zwei Hobby-Organisationen im Mai 2009 in Dänemark die Goodeid Working Group (www.goodeidworkinggroup.com) gegründet, der im November 2022 rund 700 Privathalter, 16 Zoos und einige weitere öffentliche Einrichtungen wie Universitäten und Schulen angehörten. Auf internationalem Niveau werden Management-, Monitoring- und Zuchtprogramme ausgearbeitet, die diesen hübschen und interessanten Fischen ein Überleben sichern sollen.

Goodeiden-Art Zoogoneticus Tequila
Zoogoneticus tequila, Männchen © Frank Krönke
Goodeiden-Art Allodontichthys polylepis
Allodontichthys polylepis, Männchen © Michael Köck
Goodeiden-Art Allodontichthys robustus
Alloophorus robustus, Männchen © Michael Köck

Das Haus des Meeres hat im Erdgeschoß ein Aquarium einem natürlichen Lebensraum dieser Fische nachempfunden, der Presa de San Juanico. Dieser Lebensraum ist außergewöhnlich, weil er mit seinen Bewohnern in Folge von Flusspiraterie – so die Übersetzung des englischen Fachausdruckes „river piracy“ – aufgrund tektonischer Aktivitäten vom Einzugsgebiet des Rio Lerma ins Einzugsgebiet des Rio Balsas umgelenkt wurde, sodass er nunmehr mit seinem ursprünglichen Heimatfluss nicht mehr in Verbindung steht. Presa bedeutet Staubecken und deutet bereits auf ein künstliches Gewässer hin. Tatsächlich ist die Presa de San Juanico der nordwestlichste Bereich eines Gebietes, das Cotija bezeichnet wird, ein Wort, das für diesen umgelenkten Flussbereich verwendet wird. Dieser nordwestlichste Zipfel wurde durch eine östlich gelegene Staumauer aufgestaut und stellt aktuell einen stehenden Wasserkörper mit einer Fläche von rund 11.000 km² dar, dessen Ufer stark verkrautet sind. Er bietet vielen Tierarten in dieser Gegend einen wichtigen Lebensraum, der neben zwei endemischen (das heißt nur dort vorkommenden) Vertretern neuweltlicher Ährenfische der Gattung Chirostoma, drei Arten von Mexikanischen Hochlandkärpflingen beherbergt, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Eine davon ist der Pantherkärpfling (Chapalichthys pardalis), ein hochgradig bedrohter Fisch von knapp 6 bis 7cm Gesamtlänge, der den Allesfresser-Typ verkörpert und wohl nur noch in diesem Gewässer natürlich vorkommt. Die zweite wiederum stellt das „Erfolgsmodell“ der Gruppe dar, die im Gegensatz zu den meisten Arten sehr weit verbreitet und auch sehr robust ist. Er wird im Deutschen als Schwarzflossen-Kärpfling (Goodea atripinnis) bezeichnet und ist ein reiner Algen- und Aufwuchsfresser. Die Tiere erreichen bis zu 20cm Gesamtlänge und teilen sich Rang eins der größten Mexikanischen Hochlandkärpflinge mit der dritten Art im Aquarium, dem Bulldoggen-Kärpfling (Alloophorus robustus). Ein Blick auf dessen Maul verrät uns bereits, dass er mit pflanzlicher Nahrung nicht viel am Hut hat. Tatsächlich ist dieser Fisch der einzige räuberische Vertreter der gesamten, sehr inhomogenen, Fischgruppe. Er ist zwar geografisch recht weit verbreitet, aber überall selten, und auch das Verbreitungsgebiet selbst weist große Lücken auf. Die Entwicklung seiner Bestände muss man daher besonders im Auge behalten.     

Goodeiden Allotoca goslinei
Allotoca goslinei, Pärchen © Anton Lamboj
Goodeiden-Art Chapalichthys pardalis
Chapalichthys pardalis, Männchen © Michael Köck
Goodeiden-Art Goodea atripinnis
Goodea atripinnis, Weibchen © Michael Köck

Darüber hinaus hat das Haus des Meeres eine Erhaltungszuchtstation in einem Kellerraum eingerichtet, die knapp hundert Aquarien umfasst und einen großen Teil der beschriebenen Arten in vielen Varianten beherbergt. Hier wird Nachzuchtarbeit geleistet, überschüssige Jungtiere werden vornehmlich an interessierte Zoos und Mitglieder der Goodeid Working Group abgegeben. Eine dieser Arten ist der im Deutschen umständlich Vielschuppiger Grundkärpfling genannte Allodontichthys polylepis, der um das Jahr 2012 der wohl seltenste Fisch der Welt war. Damals waren nur noch acht Individuen bekannt, die allesamt hier lebten. Diesen Fisch fing ursprünglich der im Jahre 2022 verstorbene Dr. Alfred Radda, der viele Jahre lang Vizepräsident des Haus des Meeres war. Er fing diesen kleinen Fisch 1987 im Westen Mexikos und brachte anschließend einige Tiere mit nach Wien. Hier gab er sie an einen seiner Freunde weiter, der die Tiere über Jahre hinweg nachzog. Irgendwann in den späten 1990er Jahren verlor dieser seinen Bestand, hatte aber zuvor glücklicherweise einige Tiere weitergegeben, deren letzte Nachkommen schlussendlich 2012 den Weg zurück nach Wien fanden. Damit kehrte dieser Fisch schließlich dahin zurück, wo bereits im Jahre 1987 Radda begann, diese Art für die Nachwelt zu sichern. Das Haus des Meeres war dann auch 2016 während einer Forschungsreise direkt dabei, als sie im natürlichen Lebensraum nach beinahe 20 Jahren wieder entdeckt wurde und ein weiteres Kapitel dieser Fischart schrieb. Diesem erfreulichen Schicksal harrt noch Gosline’s Kärpfling (Allotoca goslinei), die einzige Art Mexikanischer Hochlandkärpflinge – übrigens ein Nachbar der gerade vorgestellten Art, sie lebten im selben Lebensraum -, die nach wie vor als „in der Natur ausgestorben“ gilt. Auch an eine Wiederansiedlung dieses Fisches ist derzeit nicht zu denken: Zu unsicher sind die Lebensraumdaten, als dass eine solche Aktion zum jetzigen Zeitpunkt Erfolg versprechen würde. Bei zwei weiteren, einstmalig verschwundenen Fischarten, gelang dieser beeindruckende Schritt jedoch bereits: Der Tequila-Kärpfling (Zoogoneticus tequila) wurde 2017 erfolgreich wieder angesiedelt, bei der Goldenen Skiffia (Skiffia francesae) läuft dieser Prozess seit dem November 2022. Hier ist es noch verfrüht, von einer erfolgreichen Aktion zu sprechen, denn erst die Zeit wird zeigen, ob es funktioniert hat. Das Haus des Meeres war an beiden Aktionen natürlich beteiligt. Vorträge und Artikel, aber auch internationale Konferenzen und Forschungsreisen tragen zum Gesamtpaket „Artenschutz für Hochlandkärpflinge“ bei, das das Haus des Meeres seit vielen Jahren erfolgreich schnürt.